Ausgabe vom 27. März 2024
45/2024   KG Berlin: Bußgeldrechtliche Verbandshaftung nach der DSGVO (Beschluss vom 22.01.2024, 3 Ws 250/21 - 161 AR 84/21)
 Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 5. Dezember 2023 (C-807/21)) können die in Art. 83 DSG-VO vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen verhängt werden, wenn diese als für die Datenverarbeitung Verantwortliche einzustufen sind. Hiernach erfordert eine Verbandshaftung weder das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) noch eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG). Vielmehr sind Unternehmen im Deliktsbereich der DSG-VO per se schuldfähig. Die vom EuGH für den Bereich der DSG-VO entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten auch das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht (hier § 66 OWiG). Der Bußgeldbescheid muss die natürliche Person, der eine Pflichtverletzung ggf. zur Last fällt, nicht bezeichnen.
46/2024   OLG Frankfurt a.M.: Zur Zulässigkeit von Verweisen auf Videomitschnitte gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (Beschluss vom 15.02.2024, 7 ORs 2/24)
 Zur Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz und zur Zulässigkeit von Verweisen auf Videomitschnitte gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Ergänzung durch die Redaktion: Da die Kammer die Videomitschnitte vorliegend nicht in Bezug genommen hat, kann dahinstehen, ob dem Senat die Möglichkeit hierzu durch einen - die Sequenz konkret bezeichnenden - Verweis im Sinne von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO eröffnet werden kann, oder sich - entsprechend den (nicht tragenden) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 332/11 = BeckRS 2011, 28275 Rn 14 ff. sowie Beschluss vom 2. Dezember 2020 - 2 StR 203/20 = BeckRS 2020, 43187 Rn 7; ebenso Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn 9) - ein Verweis im Sinne dieser Vorschrift auf Videomitschnitte grundsätzlich verbietet und stattdessen eine ausführliche Beschreibung des Geschehens erforderlich ist (vgl. zum Meinungsstand BeckOK-Peglau StPO, 50. Edition, Stand: 1. Januar 2024, § 267 Rn 8). Im Ausgangspunkt zutreffend ging die Kammer davon aus, dass auch eine bewusst unvollständige Mitteilung von Tatsachen als unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln ist, wenn aus den mitgeteilten Tatsachen eine ehrenrührige Schlussfolgerung zu ziehen ist (MüKo-Regge/Pegel StGB, 4. Auflage 2021, § 187 Rn 9).
47/2024   LG Hamburg: Fiktives Lizenzhonorar bei Nutzung von Fotografien (Urteil vom 15.02.2024, 310 O 221/23)
 Ein geltend gemachter Lizenzschaden in Höhe von 915,- Euro pro Bild zuzüglich eines 100 %igen Zuschlags für die unterlassene Urheberbenennung ist nicht zu beanstanden, wenn der Kläger durch Vorlage entsprechender Rechnungen belegt, dass die von der MFM empfohlenen Honorare tatsächlich am Markt für seine Fotografien durchgesetzt werden können. Diese Empfehlungen weisen bereits für eine dreijährige Nutzung auf einer Homepage unter Urhebernennung ein Honorar von 915,- Euro aus. Diese Honorarhöhe erscheint dabei im Hinblick auf die unstreitige professionelle Qualität der streitgegenständlichen Bilder auch angemessen. Für die unterlassene Urheberbenennung rechtfertigt sich ein 100 %iger Zuschlag auf das üblicherweise zu zahlende Honorar.
48/2024   LG Passau: Ansprüche nach einem Scraping-Vorfall auf einer Messenger-Plattform (Endurteil vom 16.02.2024, 1 O 616/23)
 Ein Datenschutzverstoß liegt bereits nicht vor, wenn in die Datenverarbeitung (Art. 4 Nr. 2 DSGVO) eingewilligt wurde und wenn Datenverarbeitung für die Erfüllung des Vertrags zwischen den Parteien erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DSGVO) ist. Gibt ein Nutzer seine Telefonnummer unter Einwilligung zur Nutzung des "Contact-Import-Tools" der Plattform an, so dient die Verarbeitung derselben im Rahmen dieses Tools gerade denknotwendig zur Erfüllung der resultierenden Vertragsvereinbarung, um von anderen auf der Plattform gefunden werden zu können. Ein Datenschutzverstoß scheidet ferner aus, wenn die vom "Scraping"-Vorfall betroffenen Daten mit Ausnahme der Telefonnummer ohnehin bereits öffentlich sichtbar waren. Dass diese öffentlich sichtbaren Daten von Dritten kopiert und an anderer Stelle abgespeichert und veröffentlicht werden, ist ein Risiko, welches jeder, der seine Daten auf dieser Plattform öffentlich macht, kennt und in Kauf nimmt.
 
Ausgabe vom 19. März 2024
41/2024   BGH: Rücksendung des EB via beA (Beschluss vom 17.01.2024, VII ZB 22/23)
 Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung.
42/2024   OLG München: Keine urheberrechtliche Gerätevergütung für Cloud-Dienstleistungen (Endurteil vom 02.02.2024, 38 Sch 60/22 WG e)
 Die Überlassung einer internetbasierten Nutzungsmöglichkeit ist nach dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Verständnis von der gesetzlichen Regelung nicht erfasst, weil der verwendete Begriff des "Trägers" von Informationen und Daten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einen körperlichen Gegenstand bezeichnet. Der Begriff der "Herstellung" im Sinne des § 54a UrhG umfasst nicht wie im Patentrecht vorhersehbare Handlungen Dritter. Da im Rahmen der Cloudlösung kein physischer Zugang zur Infrastruktur, sondern lediglich ein internetbasierter Zugriff auf die Website bzw. die App, gewährt wird, wird alleine mit der Herstellung der Internetverbindung zur Website noch kein "neues" (physisches) Speichermedium oder Gerät im Bundesgebiet hergestellt.
43/2024   OVG Mecklenburg-Vorpommern: Sachverständigengutachten als personenbezogenes Datum (Beschluss vom 14.12.2023, 1 LZ 413/21 OVG)
 Können Sachangaben im gegebenen Kontext Auswirkungen auf die Grundeigentümer haben, so sind sie diesen als eigene, personenbezogene Daten i. S. d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO (juris: EUV 2016/679) zuzurechnen. Bei dem vorliegenden Sachverständigengutachten, das sowohl die Adresse des Eigentümers als auch textliche und bildliche Angaben über den Zustand des Gebäudes enthält und zum Zweck der Beweissicherung für ein mögliches späteres zivilrechtliches Verfahren erstellt worden ist, handelt es sich im Ganzen um ein personenbezogenes Datum i. S. d. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO (juris: EUV 2016/679). Für den Fall, dass die betroffene Person eine Kopie von Unterlagen begehrt, die ihrem gesamten Inhalt nach aus sie betreffenden personenbezogenen Daten bestehen, ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt, dass Art. 15 Abs. 3 DS-GVO (juris: EUV 2016/679) einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie der vollständigen Unterlagen im Sinne einer verständlichen und originalgetreuen Reproduktion beinhaltet.
44/2024   LG Darmstadt: Zur Anwendbarkeit der Preisangabenverordnung (Urteil vom 19.02.2024, 18 O 18/23)
 Ein Internetangebot, das von jedermann aufgerufen werden kann, und das keine Beschränkung auf Wiederverkäufer enthält, unterfällt dem Anwendungsbereich der Preisangabenverordnung auch dann, wenn der Werbende mit Verbrauchern keine Verträge schließen würde.
 
Ausgabe vom 12. März 2024
37/2024   OLG Nürnberg: Auslegung eines urheberrechtlichen Unterwerfungsantrages (Hinweisbeschluss vom 19.02.2024, 3 U 2291/23)
 Ein Unterwerfungsvertrag ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die darin enthaltene Verpflichtung, urheberrechtlich geschützte Werke nicht der Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen, grundsätzlich nicht weiter reicht als die sich aus § 19a, § 15 Abs. 2 UrhG ergebenden gesetzlichen Vorgaben. Dies gilt auch hinsichtlich der sich aus der Vereinbarung der Unterlassungspflicht ergebenden Pflicht zur aktiven Beseitigung des Verletzungszustands einschließlich der Einwirkung auf Dritte. Eine Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners gegen den Unterwerfungsvertrag setzt daher in der Regel voraus, dass er weiterhin Dritten in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu dem geschützten Werk verschafft und mit seiner Wiedergabe auf eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten abzielt. Eine andere Beurteilung ist nur dann veranlasst, wenn bestimmte Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Wiedergabe offensichtlich der Interessenlage der Parteien des Unterwerfungsvertrags unter Berücksichtigung der diesem zugrundeliegenden Anlassverstößen widersprechen.
38/2024   VG Weimar: Unverzügliche Glaubhaftmachung eines technischen Defekts (§ 55d Sätze 3 und 4 VwGO) (Urteil vom 13.09.2023, 4 K 145/23 We)
 Gibt ein Prozessbevollmächtigter lediglich an, die Versendung über beA sei nicht erfolgt, weil "aus technischen Gründen die Versendung auf elektronischem Wege vorübergehend nicht funktioniert" habe, bleibt unklar, wie der konkrete Versendungsvorgang ablief und wodurch sich der technische Defekt zeigte, beispielsweise durch eine Fehlermeldung. Oberflächliche und vage Angaben genügen nicht den Anforderungen an eine erschöpfende Schilderung der Umstände eines technischen Defekts. Zudem wurden vorliegend auch keine Bemühungen zur Abhilfe bei technischen Störungen vorgetragen, wozu professionelle Einreicher verpflichtet sind. Gibt ein Prozessbevollmächtigter eine Erklärung über die vorübergehende technische Unmöglichkeit erst am Tag nach der Ersatzeinreichung dem Gericht gegenüber ab, obwohl ihm dies früher möglich gewesen wäre, so ist diese Erklärung nicht unverzüglich im Sinne von § 55d Satz 4 VwGO.